Historisch: die Ziegelei in Anspach

Im Jahre 1901 begannen der Anspacher Philipp Peter Roos und sein Frankfurter Partner Karl Fischer am östlichen Gemarkungsrand (Anspach/Wehrheim) mit der Errichtung einer Ringofenziegelei. Dazu gehörten ein Wohngebäude für den Betriebsleiter und Unterkünfte für die Arbeiter.

Die Ringofenziegelei lag in dem Bereich hochwertiger Lehm- und Lößböden. Im Volksmund spricht man von der „Russenfabrik“, in der die „Russensteine“ per Hand geformt und in einem großen Ringofen rationeller als im alten Feldbrandsystem „gebacken“ (Backstein) wurden.

Bau des Anspacher Ringofens 1901

Bau des Anspacher Ringofens 1901
Im Vordergrund die beiden Besitzer, links Peter Roos, rechts Karl Fischer.
Foto: Archiv P. Weisbecker

Die Bezeichnung „Russensteine“ ist regional auf das Rhein-Main-Gebiet, den Hintertaunus, die Wetterau und den Westerwald begrenzt.

Bau des Anspacher Ringofens 1901

Bau des Anspacher Ringofens, 1901
Foto: Archiv P. Weisbecker

Die Bezeichnung „Russe“ für einen Feldbrandziegel geht vermutlich auf „russisch“ gleich „wild“ oder „grob“ zurück, Eigenschaften, die man früher gern den Angehörigen des russischen Volkes zuschrieb. Eine andere Deutung könnte eine Namensableitung von „Ruß“ sein. Als „russischer Kamin“ wurde der im 19. Jahrhundert in Mode gekommene Schornstein aus gebrannten Lehmsteinen bezeichnet. Er war mit der Räucher-, d.h. der „Rußkammer“ verbunden. Letztere diente auch zur Gewinnung von Ruß, der mit Kalkmilch vermischt eine graue Farbe ergab (Anstrich in Ställen).

Die alte Grube der „Russenfabrik“ war folgerichtig von den obengenannten Unternehmern Roos und Fischer zum Abbau geöffnet worden. Die tonigen Lößlehme boten eine hervorragende Rohstoffquelle zur Herstellung von Lehmziegeln. Nach Westen vermischen sich jedoch die feinsandigen schluffigen Lehme zunehmend mit den steinigen Verunreinigungen. Dies machte die Backsteine in den letzten 10 Jahren zunehmend rauher und grobkörniger. In den ersten 50 Jahren des Abbaues konnten ziemlich glatte, sogar zur Klinkerherstellung geeignete Lehme abgebaut und zu entsprechend hochwertigen Produkten verarbeitet werden. Zeitweise wurden sogar Lochziegel gebrannt. Der Standort für den Lehmabbau war auch insofern günstig, als 1895 die Bahnlinie direkt an dem Lehmvorkommen vorbei geführt worden war. Ein Gleisanschluss mit Verladerampe war leicht einzurichten, so dass der Ferntransport über die Reichsbahn sowohl in Richtung Usingen-Wetzlar als auch nach Bad Homburg-Frankfurt gewährleistet war. Die damals ziemlich neu hergerichtete Straße Anspach-Wehrheim bot eine ideale Möglichkeit, die Backsteine mit Fuhrwerken abzuholen. Im Jahre 1939 musste die Produktion von Backsteinen wegen der Einberufung vieler Arbeiter zum Kriegsdienst eingestellt werden. Die meisten Betriebsangehörigen waren Arbeiterbauern aus der näheren Umgebung.

Im Wohnhaus an der Ziegelei wohnte damals der Betriebsleiter und Brennmeister Vohwinkel. In den Fabrikationsgebäuden wurden während des Krieges Produkte der Firma Villeroy & Boch (Frankfurter Niederlassung) eingelagert, zu der über die Anspacher Baustoffhandlung von Engelhardt Weisbecker geschäftliche Beziehungen bestanden. Offensichtlich war es die Verbindung zu Villeroy & Boch, die Engelhardt Weisbecker dazu bewegte, das jüdische Ehepaar Bilgeri aus Frankfurt vor der Verfolgung der Nazis in seiner alten Ziegelei bis Kriegsende zu verstecken. Dies geschah übrigens mit Wissen des damaligen Bürgermeisters Rudolf Henrici. Zu diesen Zeiten war solch eine Tat lebensgefährlich und wurde im Falle einer Anzeige mit dem Tode oder mit tödlicher KZ-Haft bestraft. Das Ehepaar Bilgeri emigrierte nach dem Krieg nach Südamerika. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Ziegelei an die Herren Gauger und Witte verpachtet, welche die Produktion 1946/47 wieder aufnahmen. Witte wurde 1948, als er in Frankfurt wegen des Kaufs eines neuen Baggers unterwegs war, das Opfer eines Raubmordes. Gauger bewohnte das zur Ziegelei gehörige Wohnhaus, in dem auch der alte Brennmeister Vohwinkel bis zu seinem Tod lebte. Die Ziegelei zählte 1955 noch 33 Beschäftigte, 1957 ging das Pachtunternehmen in Konkurs. Schließlich brannte sogar das ganze Wohnanwesen ab.

Abbau von Lehm in der Grube

Abbau von Lehm in der Grube an der Wehrheimer Straße an der Anspacher Gemarkungsgrenze
Foto: A. Kellner, um 1950

Das Anwesen „Russenfabrik“ wurde verkauft. Der neue Besitzer versuchte in den alten Ringofenkammern eine Champignonzucht. Er scheiterte aber offensichtlich mit diesem Vorhaben und verkaufte das Anwesen an den Frankfurter Reiseunternehmer Himmelreich. Dieser ließ die gesamten Betriebsgebäude schleifen, so dass heute von der ehemaligen Backsteinfabrik nichts mehr zu sehen ist. In den 70/80er Jahren war auf dem Gelände eine Deponie und ein Teil des Tagebaus wurde mit Bauschutt und Erdaushub bis zu 8 m hoch wieder verfüllt. 1997 ist das Anwesen in den Besitz von Achim Schmidt übergegangen. Seitdem leben dort auch Rinder, Schafe und Ziegen. Die 2013 gebaute Photovoltaikanlage auf dem Stall- und Bühnendach erzeugt die Menge an Strom, der in der Scheuer und der Ziegelei verbraucht wird.

Seit 2013 finden dort als Fortsetzung der Idsteiner Steinbruchfestivals die Ziegelei Open Airs statt. Dort wo früher der Ringofen und die Trockenhallen standen, ist heute das Festivalgelände.

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Transport der getrockneten Lehmziegel

Transport der getrockneten Lehmziegel
Foto: A. Kellner, um 1950

Teil der Belegschaft

Teil der Belegschaft beim Beschicken des Ringofens der Ringofenziegelei in Anspach
Foto: A. Kellner, um 1950